Schamanismus und Wicca

„Jeder ist ein Schamane, wenn er es nur will“. Diese Demokratisierung des Schamanismus, bei der jeder sein eigener Schamane sein kann, nimmt rapide zu. Im Kern-Schamanismus von Michael Harner heißt es, dass „jedem die Fähigkeit des schamanischen Reisen innewohnt und man sie nur zu erwecken müsse“. Solche schamanisch Praktizierenden (wie sie die FSS nennt) schaffen ihr eigenes Idealbild des Schamanismus und verurteilen nicht selten traditionelle Gesellschaften als auch Schamanen, die am tradionellen Schamanismus festhalten, wenn sie nicht gemäß des Idealbildes leben. Das hat zur Folge, dass der wahre Schamanismus untergeht und der Kern-Schamanismus gleichzeitig immer mehr an Fahrt und Rückendeckung gewinnt. Im Folgenden wird erläutert, ob die Praktiken und Techniken des archaischen Schamanismus tatsächlich mit den Praktiken des neuzeitlichen Hexenkultes harmonieren und ob Wicca und Schamanismus gleichzeitig praktizierbar sind..

Leserfrage: Was ist Wicca?

Antwort der Schamanin: „Wicca ist eine neureligiöse Bewegung, welche 1954 durch Gerald Brousseau Gardner begründet und von Vivianne Crowley und Doreen Valiente überarbeitet und leicht verändert weitergetragen wurde. Genauer gesagt gab es Unstimmigkeiten, weswegen man getrennte Wege gegangen ist. Dadurch enstanden letzenedlich all die verschiedenen Gruppierungen, die in Fachkreisen Coven (Hexenzirkel) genannt werden. Wicca breitete sich von Amerika über England, Irland und Europa schließlich auch in Deutschland aus. So fand Wicca mit den Jahren regen Zuspruch und derart an Beliebtheit, dass es auch hierzulande mittlerweile richtige Konvente zu den verschiedenen Wegen gibt und in Amerika 1994 als Religion staatlich anerkannt geworden ist. Zusammenfassend kann man sagen, dass Wicca eine heidnische Religion für alle Hexen ist, die sich einer Gemeinschaft anschließen und nicht alleine zaubern möchten. Was die Wenigsten wissen ist, dass Gerald B. Gardner viel von Aleister Crowley abgeschrieben und übernommen hat. Aleister Crowley ist sozusagen das verborgene Fundament der Wiccaner mit dem sie nicht gerne hausieren gehen, aber von dem sie viel halten. Zudem wird nicht jeder in einen Hexenzirkel aufgenommen, geschweige denn als echter Wiccaner. Bevor das geschieht, muss man von einem sog, Hohepriester initiiert und für tauglich befunden werden – dies geschieht nicht selten ohne Bekleidung in der Anwesenheit aller anderen Mitglieder des Zirkels.“

Leserfrage: Was hat Schamanismus mit Wicca zu tun?

Antwort der Schamanin: „Obwohl Schamanismus quasi die Ur-Religion ist, hat Wicca nichts mit Schamanismus zu tun. Dafür ist es einfach zu jung und zu weit weg vom Schamanismus. Es basiert in erster Linie auf Ritualen der Rosenkreuzer, des Ordo Templi Orientis (in welchen auch Aleister Crowley – das Vorbild der Wiccaner – eingeweiht wurde) und des gemischtgeschlechtlichen Freimaurertums. Dann greift es Elemente aus der heidnischen Spiritualität auf (Jahreskreisfeste, Tarot), verbindet diese mit den aktuellen Eso-Trends und bietet so natürlich eine äußerst breite Angebotspalette in der Platz für nahezu alles Mögliche ist. Schamanismus selbst hat also mit Wicca nichts zu tun, vielmehr lässt sich Wicca ein Hintertürchen für den Schamanismus offen.“

Leserfrage: Ist Wicca die schamanische Ur-Religion Europas?

Antwort der Schamanin: „Die weitläufige Behauptung, dass Wicca eine europäisch-schamanische Ur-Religion sei, ist falsch. Zuerst einmal: Wicca ist nicht europäisch, denn das ursprüngliche Wicca kommt von Gerald B. Gardner aus Amerika, nicht aus Europa. Und die schamanischen Elemente wurden Wicca erst später hinzugefügt. Siehe nächste Frage. Abgesehen davon hat hat Europa selbst keine Ur-Religion, wofür wir uns größtenteils bei der katholischen Kirche und der Hexenverfolgung bedanken können. Durch die Hexenverbrennungen wurde auch leider viel spirituelles und schamanisches Wissen ausgelöscht – und damit auch nachprüfbare Hinweise auf schamanische Elemente in unserer früheren Kultur. Zudem müsste man das Europa, das eine schamanische Ur-Religion gehabt haben soll, erst einmal definieren. Welche Länder sollen zum damaligen Europa gehört haben? Europa hat sich im Lauf der Zeit immer wieder verändert. Da müsste man erst definieren, wann dieses Europa mit einer schamanischen Ur-Religion exisitert hat und ob es das jemals getan hat. Denn allein der keltische Einfluss macht noch lange keine Ur-Religion. Dazu müsste es einen eigenen schamanischen Weg in Europa gegeben haben, der nicht von außen beeinflusst wurde. Da kämen dann wieder die nordischen Völker wie z.B. die Germanen in Frage, die aber nicht gesamt Europa repräsentiert haben, sondern nur einen Teil davon. Man kann aber nicht von einem Teil auf das große Ganze schließen, denn schließlich gab es neben dem germanischen Glauben noch viele andere, uns bis heute auch unbekannte Glaubenswege, die wir mit dieser Behauptung weiterhin unter den Teppich kehren würden. Das wäre weder fair, noch korrekt. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass es – außer heidnischen Einflüssen – nie eine schamanische Ur-Religion oder schamanisch geprägten Hexenkult in Europa gegeben hat. Auch wenn Manche darauf schwören, dass Odin und Jesus Schamanen gewesen seien. Solche Menschen schustern sich mit den wenigen und teilweise auch ungenau vorhandenen Fakten eine Religion zusammen und werden mit gefährlichem Halbwissen auf die Menschheit losgelassen.“

Leserfrage: Hat Wicca schamanische Elemente?

Antwort der Schamanin: „Wicca an sich hat keine schamanischen Elemente, sondern überlässt es dem Gläubigen, wie er das Glaubensgebäude füllt. Dabei reichen die Stilrichtungen von ägyptisch über keltisch bis hin zu indianisch und germanisch oder einer Mischungen aus allem – auch eklektisch genannt. Irgendwann fand sie dann doch statt: die Hochzeit von Schamanismus und Wicca. Mehr oder weniger unfreiwillig seitens des Schamanismus, aber der hat bei Esoterikern sowieso schon lange kein Mitspracherecht mehr. Zu der Zeit, wo der Schamanismus mehr und mehr Eingang in die westliche Welt fand, fanden durch Selena Fox auch die schamanischen Einflüsse mehr und mehr ihren Weg zu Wicca (z.B. afrikanisches & indianisches Trommeln, induzierte Trance und Visionssuchen). Eine richtige schamanische Tradition hat Wicca also nicht – ebensowenig wie schamanischen Elemente, denn diese wurden und werden vielmehr durch die Anhänger hinzugedichtet. Das Problem dabei ist, dass die von den Wiccanern angewandten schamanischen Techniken keine Regeln kennen, aus dem Kontext des Schamanismus herausgerissen wurden und zurechtgestutzt werden, bis sie ins eigene Glaubensbild passen. Das allerdings ist weder schamanisch, noch sonderlich spirituell – geschweige denn besonders clever oder kreativ.“

Leserfrage: Ist Wicca eine Naturreligion?

Antwort der Schamanin: „Nein, Wicca ist keine Naturreligion. Es wäre gegenüber den Naturvölkern und ihrer Spiritualität anmaßend, Wicca als Naturreligion zu bezeichnen, nur weil Wiccaner die acht Jahrefeste (z.B. Imbolc, Halloween) feiern und an Götter glauben. Und nur weil diese Feste schon lange bestehen und auch leicht verändert von der Kirche übernommen wurden, heißt das noch lange nicht dass diese Feste ein Erkennungsmerkmal für Naturreligionen sind. Dennoch wird Wicca oft als genug als Naturreligion roman­ti­sie­rt – obwohl Wicca letztendlich nur eine Mischung aus ein paar Stücken alten Volksglaubens und diverser vorchristlicher Götter aus verschiedenen Ländern ist. Wicca ist keine Rekon­struk­tion irgendeines vor­christ­li­chen, naturreligiösen Glau­bens, sondern vielmehr der Versuch eine Neu­in­ter­pre­ta­tion. Außerdem existiert im Weltbild der Wiccaner weder Böses, noch ein Platz dafür, was natürlich eine regelrechte Einladung für gewisse Leute ist. Ich sage immer: Wer Böses nicht kennt, der erkennt es auch nicht, wenn es vor ihm steht oder empfindet es als normal, wenn es ihn umgibt. Die Begründung, alle Lebewesen gleichermaßen zu achten wirkt an den Haaren herbeigezogen und hat mit „Gut und Böse“ nichts zu tun. Eine echte Naturreligion weiß, dass die Natur zwei Seiten hat und es für alles einen Platz gibt – weder das Gute, noch das Böse lassen sich verleugnen. Selbstverständlich muss man alles Leben achten, jedoch muss man auch unterscheiden, ob Jemand Mörder oder Vergewaltiger oder ein Rettungssanitäter oder normaler Bürger ist. Kriminelle Menschen lassen sich nicht einfach durch ein paar Zauber oder Licht und Liebe bekehren. Sie gehören verurteilt, weggesperrt und therapiert. Ich täte ja wirklich gerne mal Jemanden von der Anti Schwarz-Weiß Fraktion sehen, der einen Vergewaltiger mit offenen Armen empfängt und ihm das Gästezimmer neben seiner Tochter gibt. Vielleicht bekommet er oder sie ja dann doch bedenken und überlegt es sich nochmal, ob es das Böse und einen Platz dafür gibt. Gewisse Türen sollten für gewisse Menschen oder Wesen einfach verschlossen bleiben.“

Leserfrage: Lassen sich Wicca und Schamanismus gleichzeitig leben und praktizieren?

Antwort der Schamanin: „Das hängt von der Betrachtung ab. Schamanismus und Wicca lassen sich nicht kombinieren, Wicca und Schamanismus anscheinend schon. Das heißt, aus der schamanischen Perspektive eines erfahrenen Schamanen oder langjährigen Schamanisten sind Schamanismus und Wicca zwei verschiedene Wege mit unterschiedlichen Inhalten und Zielen. Schamanismus hat im Übrigen Nichts mit dem Hexentum gemein, geschweige denn damit zu tun. Für einen Anhänger des neuzeitlichen Hexenkultes lässt sich Wicca mit allem Möglichem vermischen – auch Schamanismus. Inwiefern man natürlich zwei unterschiedliche Lebenstile zugleich führen kann bleibt allerdings fraglich. Aber Manchen gefällt eben das Doppelleben – und wie lange das gut geht steht in den Sternen.“